Sonntag, 22. April 2007

DIE ZEIT

DIE ZEIT
Das letzte Gefecht
Wo fand dereinst die legendäre Varusschlacht statt? Pünktlich zum 2000. Jahrestag kämpft Kalkriese in Niedersachsen gegen Konkurrenz aus Nordrhein-Westfalen.
Von Silke Hellwig
Kalkriese
Im Museumsshop ist die Welt noch in Ordnung. Hier liegen Playmobil-Römer, Lavendelöl (»Antike Welt der Pflanzen«) und die Wurst »Harter Hermann« aus. Das Gasthaus wirbt für einen »Römischen Abend – cena et musica«. Rund 550.000 Besucher zählt die Freiluftanlage pro Jahr, darunter allein etwa 1.000 Schulklassen. Hauptattraktion ist der Museumsturm, in 26 Meter Höhe zerrt der Wind den Besuchern an den Haaren, und die Aussicht beansprucht ihre Fantasie. Tief unten, auf einer großen Grasfläche zwischen bewaldeten Hängen und Niederungen, soll sie sich abgespielt haben – die Varusschlacht. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurde sie als deutscher Gründungsmythos gehandelt: Arminius gegen Varus. Germanen gegen Römer. Im Jahre neun nach Christus. Gekämpft wird allerdings bis heute, wenn auch in anderer Besetzung.
Kalkriese im Osnabrücker Land steht nicht allein mit seinem Anspruch, die Stätte des historischen Aufstands von »Hermann, dem Cherusker«, zu sein. Vor allem das benachbarte Detmold neidet dem 850-Seelen-Örtchen Kalkriese, Stadtteil von Bramsche in Niedersachsen, seinen Ruhm. Und weil zwischen beiden Rivalen die Landesgrenze liegt, streiten jetzt Nordrhein-Westfalen gegen Niedersachsen, das Lipper gegen das Osnabrücker Land, Wissenschaftler gegen Hobbyforscher.
Blut fließt dabei nicht, die Gegner beharken sich allein mit Worten. Bei Podiumsdiskussionen, mit Aufsätzen, Büchern und Homepages. Gekämpft wird mit allen Mitteln – wer seine Erkenntnisse nicht veröffentlicht, wird nicht ernst genommen, wer nicht vom Fach ist, wird als »Heimathirsch« verunglimpft. Von Irreführung und Manipulation ist die Rede, von Geschichtsklitterung und Zitierkartellen. Schließlich geht es um viel: um Reputation, um Touristen, um Fördermittel und Forschungsgelder.
Der Streit schwelt schon seit Generationen. Mehrere hundert Orte wurden dabei als Schlachtfeld ausgemacht. Dass die Auseinandersetzung nunmehr neu entflammt ist, wundert Joseph Rottmann nicht – er diagnostiziert ein ansteigendes »Arminiusfieber«: In anderthalb Jahren jährt sich die Varusschlacht zum 2000. Mal. Und die Grabungsergebnisse in Kalkriese sprächen für sich, sagt der Geschäftsführer der »Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH«. 6000 Funde gebe es in Kalkriese, und »von Jahr zu Jahr kommen neue hinzu, das macht uns immer sicherer«. Weit und breit sei niemand, der ähnliche Schätze vorzuweisen habe, »um sich mit uns auf Augenhöhe auseinanderzusetzen«.
Durch das Museum führt ein fiktiver Ermittler namens Stahnke
Diese Selbstsicherheit dokumentiert sich allenthalben: Durch das Museum, zeitgenössisch mit Multimedia-Angeboten aufgemotzt, führen Zitate eines fiktiven Ermittlers namens Stahnke. Am Ende des Rundgangs – der an elegant beleuchteten Vitrinen voller Münzen und Militaria entlangführt – kommt Stahnke zum Fazit: »Nach all den Jahren sind wir uns jetzt sicher: Kalkriese ist der Ort der Varusschlacht.« Rainer Wiegels, Leiter der Forschungsstelle Rom und Germanien an der Uni Osnabrück, hat das jüngst etwas vorsichtiger formuliert: »Nach derzeitigem Stand der Forschung kann das Fundareal in Kalkriese als besonders gut erhaltener Schauplatz im Kontext der Varusschlacht bezeichnet werden.« Weil so ein Satz auf keinem Hinweisschild Platz hätte, werden Autofahrer auf der Autobahn schlicht auf die »Varusschlacht im Osnabrücker Land« verwiesen. Ebendiese Schilder sind Siegfried Schoppe, Professor der Uni Hamburg am Institut für Wirtschaftsgeschichte, ein Dorn im Auge.
Für ihn manifestieren sie, »dass als wissenschaftliches Ergebnis verkauft wird, was nur eine Hypothese ist«. Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen hat sich der Wirtschaftshistoriker zum Ziel gesetzt, dass die Schilder abmontiert oder mit einem Fragezeichen versehen werden. »Ich habe gar nichts dagegen«, sagt Schoppe, »dass die Kalkrieser feststellen, dass bei ihnen eine große Schlacht zwischen Römern und Germanen stattgefunden hat, vielleicht sogar die größte«. Aber auf die Varusschlacht gebe es keinen einzigen eindeutigen Hinweis.
Nun ist keiner im Schoppe-Trio Althistoriker, Numismatiker oder Archäologe. Das ficht Schoppe senior nicht an: »In der Wissenschaft geht es schlicht um logisches Denken.« Außerdem stehen die Herren Schoppe nicht alleine da. Auf ihrer Homepage zitieren sie Wissenschaftler aus Tübingen, Hannover und Münster, die – wie sie – den Schlussfolgerungen des Ermittlers Stahnke aus dem Museum Kalkriese nicht folgen wollen.
Offiziell ist man sich einig geworden: Zwischen dem Lipper und dem Osnabrücker Land, zwischen Detmold und Kalkriese wurde für 2009 per Vertrag Frieden geschlossen. Unter dem Titel Imperium Konflikt Mythos setzen die Orte Detmold, Haltern und Kalkriese für 13 Millionen Euro ein gemeinsames »Ausstellungsprojekt« um.
»Uns ärgert, wie aggressiv Kalkriese auftritt – und ganz ohne Beweise!«
Doch das Geld kann die Gräben nicht zuschütten. Der Sprecher des Kreises Lippe bleibt dabei: »Was uns hier so ärgert, ist, dass man in Kalkriese die Varusschlacht so aggressiv für sich beansprucht, ohne Beweise zu haben.« Der niedersächsische Landesarchäologe Henning Haßmann wiederum beteuert, den Streit »völlig leidenschaftslos« zu verfolgen. Ihn wundert nicht, dass im Lipper Land tapfer Widerstand geleistet wird. »Jedem Lokalpatrioten fällt es schwer, einen Irrtum zuzugeben.« Auf welcher Seite der Ländergrenze der Irrtum liegt, ist für den Niedersachsen eindeutig: »Wenn man in einer einfachen Excel-Tabelle die Argumente aufreiht, wird ganz klar, dass sie in ihrer Summe Kalkriese mit der Varusschlacht in Verbindung bringen.«
Und so stehen sich die Kontrahenten unversöhnlich gegenüber. Als Vermittler indes gilt der Pensionär Peter Glüsing, einst am Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Münster. Ihm sei vor allem wichtig, sagt er, dass die Forschung vorankomme und weitere Erkenntnisse zutage fördere – ob sie nun für oder gegen das Varusschlachtfeld in Kalkriese spräche. Und eigentlich, findet Glüsing, »kann man sich auch nichts darauf einbilden, der Ort der Varusschlacht zu sein. Schließlich wurden dort Tausende von Römern und Germanen abgemurkst und niedergemetzelt.«
DIE ZEIT, 29.03.2007 Nr. 14

http://zeus.zeit.de/text/2007/14/LS-Varusschlacht

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