Montag, 8. Januar 2007

Kalkriese-Methodik

Womit ist der Medienerfolg der widerlegten Kalkriese-Hypothese zu erklären - und warum prallt jede Kritik am Kalkriese-Kartell ab?

Der Grund ist darin zu suchen, dass diese Diskussion von vornherein nicht auf der wissenschaftlichen Ebene geführt wurde - dann hätten die Kalkrieser keine Chance -, sondern als öffentliche Diskussion, die alle Klischees bedient, die pseudowissenschaftliche Meinungsagenten propagieren.

Das Pfund, mit dem die Kalkrieser wuchern, ist die Tatsache, dass nicht ein deutscher Provinzialarchäologe vor Ort, sondern ein Offizier der britischen Rheinarmee, die ja auch die Demokratie nach Deutschland gebracht hat, den bis dahin wenig verdächtigen Platz Kalkriese ins (End-)Spiel gebracht hat: Captain, dann Major, Clunn, ein neutraler Referee, allerdings ohne wissenschaftlichen Hintergrund, ein begeisterter Freizeitsucher nach Militaria, Münzen und Schlachtfeldern seit seiner Stationierung am Hadrianswall in Durham. Seine Hypothese: Varusschlacht Kalkriese entlehnte er dem in Großbritannien mehr als in Deutschland geschätzten Experten für Römisches Recht, Römische Geschichte und Römische Inschriften sowie Literatur-Nobelpreisträger 1902 Theodor Mommsen, der von den Münzfunden von Gut Barenaue berichtet hatte. Und die prompten Sondierungserfolge vor Ort schienen auf schönste Weise die Kalkriese-Hypothese zu einer fundierten Theorie zu machen.

Mit Mommsen, der sich gegen seine einseitige Vereinnahmung mit fragwürdigen wissenschaftlichen Methoden nicht mehr wehren kann, wird in Kalkriese bis heute die ausschlaggebende Autorität für die Varusschlacht Hypothese in Anspruch genommen. Seine Ausstellung im dortigen Museum gleicht fast einer Heiligenverehrung durch seine Gläubigen. Aber Zeitzeuge der Varusschlacht war auch er nicht; und hellseherische Fähigkeiten besaß selbst Mommsen nicht - bei Anerkennung aller seiner Qualitäten. Vielleicht brauchen die Kalkrieser noch einen Säulenheiligen, an den sie sich mit ihren Fürbitten richten können, wenn ihre Hypothese zusammenkracht.

Warum werden die Kalkrieser trotz wissenschaftlich unhaltbarer Position mit allen ihren Kritikern so leicht fertig?

1. Gegen die Kalkriese-Hypothese wenden sich vehement die "Romantiker", die in der Tradition des Epos "Dreizehnlinden" von Friedrich Wilhelm Weber stehen und unbeirrt behaupten, das Westwerk und die Fresken des Klosters Corvey seien römische Werke. Diese werden dadurch auch bezüglich ihrer ernst zu nehmenden Argumente zur Varusschlacht desavouiert.

2. Viele "Heimatforscher" - unausgelastete Rentner, Lehrer und Pfarrer - bieten in munterem Reigen nach dem Motto: "Mit der Heimat im Herzen die Welt erfassen" rund 700 Fundorte der Varusschlacht an, die "zufällig" immer im Umkreis ihres Wohnsitzes liegen. Es ist einfach, diese Laien wegen ihres "beschränkten Horizonts" lächerlich zu machen.

3. Zur Varusschlacht-Suche fühlen sich auch viele angezogen, die ihre Wurzeln tief eingesenkt haben in Mythologie, Esoterik, Spiritualismus ... und die sich immer neue Geschichten zu den Externsteinen, den Hünengräbern, den germanischen Götter- und Heldensagen einfallen lassen. Da deren Phantasie alle Grenzen sprengt, lassen diese sich leicht als Phantasten abstempeln, wenn sie sich zur Varusschlacht äußern.

4. Die Kritiker, die die Kalkrieser am meisten fürchten müssten, die ernst zu nehmenden Fachwissenschaftler, sind aus dem Rennen; die finanziellen, freundschaftlichen und verwandtschaftlichen sowie Karriere-Abhängigkeiten in der engen Academic Community sind so verfilzt, dass ein Selbstreinigungsprozess im wissenschaftlichen Wettstreit nicht (mehr) zu erwarten ist. Zwar ist das (Rest-)Risiko, dass die Kalkrieser doch noch einen Beweis für Varus in Kalkriese finden, objektiv zu vernachlässigen, für einen Wissenschaftler, der aber öffentlich das Kalkriese-Kartell angegriffen hätte, wäre das persönlich eine Katastrophe.

5. Höchst motivierte Gegner der Kalkrieser sind die "Lippe-Detmolder". Sie verlieren Touristen, das Anrecht auf die Jubiläumsfeier 2009 und am Ende gar noch ihr Hermanns-Denkmal. Diese Lipper Argumente als wirtschaftlich motiviert, unwissenschaftlich und hinterwäldlerisch - eben aus dem Lippischen Wald - abzutun, ihnen zudem kleinkarierten Lokalpatriotismus und nationale Borniertheit vorzuwerfen, auf jeden Fall Deutschtümelei wie schon im Kaiserreich bzw. Fürstentum Lippe-Detmold, ist billig. Dass dieselben Argumente für den Kreis Osnabrücker Land bzw. die Hannovereaner gelten, steht dahinter zurück.

6. Hinter der Deckung ihrer Blätter, hinter denen doch immer ein kritischer Kopf stecken sollte, versteckt, führen die zuständigen Redakteure, Welt und Handelsblatt vorneweg, Regie im öffentlichen Meinungsmanagement. Da sie seinerzeit die Kalkrieser mit der Aussicht auf schnelles Geld und großen Ruhm dazu verführten, sich auf Kalkriese festlegen zu lassen - die Medien führten den ahnungslosen, aber publicity-bewußten Provinzialarchäologen wie einen Tanzbären am Nasenring herum - ergreifen sie regelmäßig und undifferenziert Partei. Kritische Beiträge und Leserbriefe werden unterdrückt: Die Bühne ist ausschließlich für die Kalkriese-Darsteller reserviert.

7. "Schriftgelehrte", die es wagen anzumerken, dass alle Quellen im krassen Gegensatz zur Niewedder Senke und den dortigen Funden stehen, werden als Textpositivisten abqualifiziert. Ihnen steht Kritik gar nicht zu, weil sie ja viel zu gutgläubig an den häufig verfälschten Texten kleben. Sie sollten erst einmal einen empirisch besser geeigneten Fundort für die Varusschlacht nachweisen. Allerdings ist den so Abgefertigten die Gegenfrage nicht erlaubt: "Woher denn, wenn nicht aus alten Quellen, wissen die Kalkrieser überhaupt von einer Varusschlacht?"

8. Die Varusschlacht im Lippischen Wald wissenschaftlich verorten zu wollen, widerspricht dem Meinungsbildungsprozess in einer Demokratie. Das Hermanns-Denkmal im Ringwall der Grotenburg wurde von dem bayerischen Untertan E. von Bandel in der Zeit der nationalen Bewegung begonnen und unter dem preußischen König und deutschen Kaiser fortgesetzt und vollendet: National(istisch) und imperial(istisch) zugleich ist dieses Denkmal unhaltbar. Das hat die deutsche Öffentlichkeit auch verinnerlicht, um so dankbarer ist sie für das historisch unbelastete Angebot einer Varusschlacht in Kalkriese, das ihr von einem Träger des königlichen Ordens "Commander of the British Empire", Bürger der demokratischen Urnation, gemacht wird.

Bei wissenschaftlichen Fragestellungen erwartet man normalerweise eine wissenschaftliche Beweisführung; hier aber handelt es sich offensichtlich um eine Ausnahme-Fragestellung, die nach einer gesellschaftspolitisch ausgewogenen und politisch korrekten Antwort schreit.

Die Kalkrieser haben erreicht, dass die sogenannte öffentliche Meinung darüber "demokratisch" zu entscheiden hat, wo dem ehrlichen Imperialisten Varus ein Denkmal zu setzen ist. Das Museum(sgelände) "Varusschlacht Kalkriese" ist das gesellschaftspolitisch erforderliche Gegengewicht zum national(istisch)en Hermanns-Denkmal des Deutschen Kaiserreiches.

Mit freundlichen Grüßen,
Univ.-Prof. Dr. Siegfried G. Schoppe

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