Offenbar hat es sich die Göttinger Akademie der Wissenschaften auf ihre Fahnen geschrieben, die auf Abwege geratenen Kollegen der Universität Osnabrück auf den Pfad wissenschaftlicher Tugenden zurückzuführen. Schon das Vorwort zum Sammelband: "Römische Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit. Der Fundplatz von Kalkriese im Kontext neuerer Forschungen und Ausgrabungsbefunde", Göttingen 2007, hat es in sich. Dort schreibt Professor Dr. Wiegels, der die Varus-Festlegung von Kalkriese hauptverantwortlich trägt: "Über der Diskussion von Wahrscheinlichkeiten und gewichtigen Indizien sollte hier jedenfalls nicht vergessen werden, dass unter strengem methodisch-kritischen Ansatz die Frage noch immer als offen zu gelten hat, welche militärischen Vorgänge der spätaugusteischen Phase der Fundplatz von Kalkriese im Kontext der varus-Schlacht [so das Original] widerspiegelt".
Nicht nur Wiegels hat Kreide gefressen, auch Frau Dr. Susanne Wilbers-Rost, Ehegattin von Herrn Dr. Rost und nach eigenem Selbstverständnis Chef-Ausgräberin der Varusschlacht in Kalkriese, die in letzter Zeit immer streitbarer wurde, wenn ihr jemand ihr Lieblingsspielzeug nehmen wollte. Sie kommt unter den gestrengen Augen der "Akademie der Wissenschaften zu Göttingen" zu dem entlarvenden Schluss: "Möglicherweise ergeben sich auf diesem Wege auch Hinweise zur Identifizierung des Schlachtfeldes mit den in den antiken Quellen überlieferten Kampfhandlungen aus spätaugusteisch/frühtiberischer Zeit" (S. 27). Da soll man nicht überrascht sein, nachdem die Autorin über ein Jahrzehnt das Stichwort ihres Ziehvaters Dr. Schlüter gebetsmühlenhaft wiederholt hat, dass sie die Varusschlacht in Kalkriese ausgräbt und dass das auf alle Autobahn- und Straßenschilder gehört. Nun also Tiberius, 14 n. Chr. ff?
Abenteuerlich ist, wie Privatdozent Dr. Boris Dreyer es schafft, in seinem erst später hinzugefügten Artikel "Zum Verlauf der Varusniederlage" den Bogen von den antiken Textquellen hin zu den Ausgrabungen von Kalkriese zu schlagen. Zunächst ist man verblüfft, dass nach einer Wiederholung der Behauptung, es sei "nicht methodisch korrekt, den Schlachtort nach literarischen Quellen zu suchen" (dieses ist das Lieblingsthema des Zitierkartells Kalkriese), dann genau die inkriminierten Quellen den Weg weisen sollen: Von der Weser über Detmold bis hin nach Kalkriese - in angeblich vier Tagen unter schwerstem Beschuss von Horn-Bad Meinberg über 80 km über das Wiehengebirge!
Aber was kann man erwarten von einem Interpreten, der Varus "nordwestlich entlang des Teutoburger Waldes" marschieren lässt, wenn er meint nordöstlich des Teutoburger Waldes - aber nordwestwärts. Dann greift Dreyer die Kritiker des Kalkriese-Zitierkartells an: "Dem Unternehmen [!], auf der Basis der archäologischen Befunde die Auseinandersetzungen bei Kalkriese in die durch die literarischen Quellen bezeugte Gesamtkatastrophe der Varusarmee einzuordnen, stehen in letzter Zeit unternommene Versuche entgegen [hört, hört!], das zur Verfügung stehende Quellenmaterial umzuinterpretieren" (S. 373).
Wie geht das eigentlich zusammen, wenn er vorn auf S. 366 alle "literarischen Quellen" (seine Lieblingsfloskel) verwirft, weil sie "unterschiedlich interpretierbar" sind, dann sich derselben interpretierend bedient und dann andere Interpretationen inkriminiert? Und was hat es eigentlich mit Wissenschaftlichkeit zu tun, wenn er es im letzten Satz seines Beitrages den Detmoldern noch einmal richtig gibt: "Stimmen die Überlegungen über den Verlauf der Varusniederlage [er meint seine zuvor krampfhaft stimmig gemachten Interpretationen], dann bleibt als Fazit festzuhalten, dass das Denkmal des Arminius/Hermann in Detmold insofern auf dem falschen Platz steht, dass nicht dort - wie von den Erbauern des Denkmals und vielen anderen angenommen - die Varus-Armee unterging, sondern vielmehr, dass nordwestlich [nein, Herr Dreyer, nordöstlich!] davon ihr Untergang begann, der sich westlich von Kalkriese vollendete".
Von einem so generös argumentierenden Historiker kann man nicht auch noch Genauigkeit in jedem geografischen Detail erwarten. Vielleicht wollte sich Dreyer mit der Qualität seines Aufsatzes dafür rächen, dass er erst nachträglich von Wiegels (S. 89) um einen Beitrag gebeten wurde, der die Textquellen und Kalkriese wieder in Einklang bringen sollte: Um zusammenzufassen, was nicht zusammengehört. Dieser Aufsatz hat, weil erst nachträglich geschrieben, nicht die Kontrollen der Göttinger Akademie der Wissenschaften durchlaufen und fällt gegenüber den anderen Beiträgen, was Qualität und Differenzierungsvermögen angeht, erheblich ab. Er dient lediglich dem Zweck, die in der Tagung gewonnenen Erkenntnisse gegen Kalkriese als Ort der Varusschlacht durch eine an der Tagung nicht beteiligte Einzelmeinung in dem Tagungsband nachträglich zu relativieren.
Wiegels selbst balanciert ähnlich wie Dreyer auf des Messers Schneide. Er liest auf dem Mundblech einer Schwertscheide, dass dort L P A steht - und er weiß das seit dem Fund in Kalkriese 1992. Erst jetzt rückt er mit der Erkenntnis heraus, die ihm seine spanische Kollegin Paz García-Bellido bereits 1996 (!) vermittelte, dass es sich eindeutig um die Abkürzung für (L)egio (P)rima (A)ugusta handelt, dass also in irgendeiner Weise die I. Legion mit Kalkriese zu tun hatte, die aber zuerst in Spanien und zur Varus-Zeit in Mainz lag und später als Legio I Germanica zur Verfügung stand.
Da Wiegels selbst alle bisherigen Funde mit der Kennung I einer I. Kohorte zuordnete und auch seine Kollegin Franzius veranlasste, so zu verfahren, ergab sich das kuriose Fundbild, dass dort lauter I. Kohorten (oder nur eine I. Kohorte) zu verifizieren, aber keinerlei Legionskennungen zu finden waren. Trotz intensivster Suche wurde nichts von einer XVII, XVIII oder XIX Legion des Varus gefunden, aber nun auf einmal mehrere Hinweise auf die I. Legion? Das durfte nicht wahr sein und schon gar nicht wissenschaftlicher Erkenntnisstand werden, bis sich dies bei einer Tagung im Juni 2004 in Osnabrück nicht mehr verhindern ließ.
Im Grunde ist es skandalös, dass ein Fund aus 1992, dessen Interpretation durch eine ausländische Expertin seit 1996 fest steht, erst jetzt, eine Dekade später, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Immerhin handelt es sich um einen der wenigen empirischen Anhaltspunkte zur Überprüfung der Varus-Hypothese überhaupt. So kann es den außenstehenden Betrachter nicht überraschen, dass Wiegels im zeitlichen Zusammenhang mit der gemeinsamen Tagung im Jahr 2004 die wissenschaftliche Leitung der Ausgrabungen in Kalkriese an Dr. Moosbauer, einen inzwischen über das Lager Regensburg habilitierenden Mitarbeiter seines Fachbereichs, abgab.
Funde und kritische Kollegen sorgten weiter für Beunruhigung, so dass jetzt also Wiegels mühsam versucht, sich zu einer Halbwahrheit durchzuringen. So ist es für den Leser nicht überraschend, dass Wiegels nun eine "neue Dislokationsgeschichte" erfindet: Nicht die Legion I war in Kalkriese, sondern nur einige Kohorten derselben waren Varus zugeteilt. So kann man die Varusniederlage in Kalkriese vielleicht doch noch in einen Sieg für das Kartell ummünzen. Und so wird mit dem letzten Satz der Leser vertröstet: "Was bleibt, ist die Hoffnung auf weitere aussagekräftige Funde". Ja, ja, die Hoffnung stirbt zuletzt, Herr Wiegels! Jetzt wird also munter ein neuer Forschungszweig erfunden, die "Dislokationsgeschichte der römischen Armee" (S. 110).
Auch Wilbers-Rost hat für ihren Gatten Rost schon ein neues international beachtetes Forschungsfeld, Battlefield Research, gefunden, nachdem beide bemerkten, dass Varus in Kalkriese nicht zu halten war: „Schlachtfeld-Forschung“.
Nachdem so intensiv und ohne jeden Erfolg nach den Kennungen XVII, XVIII und XIX gegraben wurde, aber nur Funde zur I. Legion ans Tageslicht kamen, dürfte für jeden unvoreingenommenen Wissenschaftler klar sein, dass Varus nie in Kalkriese war, wohl aber Germanicus bzw. Caecina.
Für das "Fach Alte Geschichte der Universität Osnabrück" gilt weiter der Spruch: "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich doppelt ungeniert"!
Und Dr. jur. Joseph Rottmann, der hauptamtliche Geschäftsführer der Kalkriese-GmbH, muss natürlich weiter das Marketinggeschäft der Tourismusförderung betreiben statt wissenschaftlicher Forschung.
Mit freundlichen Grüßen,
Univ.-Prof. Dr. Siegfried G. Schoppe
Quelle:
Lehmann, G. A./Wiegels, R. [Hrsg.]: „Römische Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit. Der Fundplatz von Kalkriese im Kontext neuerer Forschungen und Ausgrabungsbefunde. Beiträge zu der Tagung des Fachs Alte Geschichte der Universität Osnabrück und der Kommission ‚Imperium und Barbaricum’ der Göttinger Akademie der Wissenschaften in Osnabrück vom 10. bis 12. Juni 2004. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse: Dritte Folge, Band 279. Vorgelegt von Prof. G. A. Lehmann in der Sitzung vom 9. Dezember 2005.“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007 (449 Seiten mit 102 Abbildungen und Karten, 196 Euro, ISBN 978-3-525-82551-8).
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1 Kommentar:
Bitterböse....aber keineswegs von der Hand zu weisen !
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