In der Nordwest-Radio-Bremen-Sendung am 18. Januar 2007 distanzierte sich die Leiterin der archäologischen Abteilung „Varusschlacht im Osnabrücker Land gGmbH“ mit deutlichen Worten von der bisher verfolgten Hypothese der Varusschlacht in Kalkriese: Sie sei gar nicht mehr auf der Suche nach Belegen für die Varusschlacht, sondern zusammen mit ihrem Ehemann Rost sei sie daran, einen neuen Wissenschaftszweig „Schlachtfeldforschung“ mit internationalem Anspruch zu entwickeln.
Diese Äußerung in einer Live-Sendung ist besonders bemerkenswert, weil Wilbers-Rost als Ziehkind des „Varus-in-Kalkriese“-Erfinders Schlüter von Anfang an die eifrigste Verfechterin des Varus- Slogans war, der inzwischen auf allen Straßenschildern und Briefköpfen in Kalkriese und Umgebung zu bewundern ist. Auch ihre weitere befristete dreijährige Anstellung bis 2010 hängt vom Wohlwollen der gemeinnützigen „Varusschlacht GmbH – Museum und Park Kalkriese“ und deren Geschäftsführer Rottmann ab.
Dr. Schlüter ist als erster wissenschaftlicher Leiter längst ausgeschieden und genießt seinen Ruhestand, nachdem er für seine Varusschlacht-Fixierung noch den Professorentitel der Universität Osnabrück als Honorarprofessor „mitgenommen“ hatte.
Woher kommt nun der plötzliche Sinneswandel, dem auch der fleißige Kalkriese-Autor Dr. Joachim Harnecker verfallen ist? Woran zerbricht das bisherige geschlossene Zitierkartell Kalkriese, das durch gewagte wissenschaftliche Interpretationen von Fundmaterial und sehr viel Geld bisher so eng zusammenhielt und sich statt in einer wissenschaftlichen Vereinigung in der „Varus-Gesellschaft im Osnabrücker Land e. V.“ gegen die bessere wissenschaftliche Erkenntnis und jede Kritik verbündete? (Übrigens fahren „Varus GmbH“ und „Varus e.V.“ auf dem Ticket der Gemeinnützigkeit und unter dem Vorwand wissenschaftlicher Arbeit steuerfrei.)
Inzwischen leidet der vormalige Inhaber der Stelle „Wissenschaftlicher Verantwortlicher der Varusschlacht Kalkriese GmbH“ und zugleich „2. Vorsitzende des Varusschlacht-Vereins Kalkriese“, Prof. Dr. Rainer Wiegels nach seiner Rückkehr an die wissenschaftliche Lehrstuhlarbeit an der Universiät Osnabrück immer schwerer unter dem Widerspruch von Kommerz und Forschung. So kündigt er wie eine gespaltene Persönlichkeit gleichzeitig einen wissenschaftlichen Beitrag: „Legion I in Kalkriese“ (in: Römische Präsenz und Herrschaft in Germanien der Augusteischen Zeit, Göttingen 2007, S. 89 ff.) an und veröffentlicht im Varus-Kurier, dem Werbeblatt seines Varus-Vereins auf den S. 1-3 einen Beitrag, der den Vereinsmitgliedern und -sponsoren wider besseres Wissen von der „Kohorte I in Kalkriese“ berichtet. Da er sich sicher ist, dass die Förderer im Osnabrücker Land nicht bis S. 3 lesen, jubelt er ihnen dort den im Zusammenhang überraschenden und syntaktisch verkrüppelten Satz unter: „ …; dort aber wohl zur Bezeichnung einer Legion, nicht einer Kohorte (sic !) diente“. War es eine Freudsche Fehlleistung angespannter Nervosität?
Offensichtlich sorgt der ausgewiesene Varus-in-Kalkriese-Fan für seine wissenschaftliche Reputation vor, denn er muss angesichts der ihm bekannten Funde und der bald aufzudeckenden Fundinterpretationen in Kalkriese um seinen Ruf als Universitäts-Professor fürchten: Das Geld der Varus-Freunde hat er gern genommen, jetzt gilt es, diesen für die wissenschaftliche Karriere lästigen Anhang loszuwerden. Wiegels versucht, den Schaden zu reparieren, den er über viele Jahre nachhaltig angerichtet hat. Denn er war und ist federführend dafür verantwortlich, alle Legionskennungen, die bisher gefunden wurden, sei es die I für „Legio I“, sei es das P für „Legio Prima“, als Kennungen 1. Kohorten und 1. Zenturien zu interpretieren.
Denn wenn Varus 9 n. Chr. in Kalkriese untergegangen ist, dann erwartet man die Kennungen seiner drei Legionen XVII, XVIII (XIIX) und XIX, aber auf keinen Fall der Legion I – Germanica (Augusta) -, die 9 n. Chr. weit entfernt in Mainz lag und erst unter Germanicus und Caecina etwa 14 bis 16 n. Chr. so weit nördlich in den Bellum Germanicum eingriff.
Nachdem schon 1993 die erste auffällige Fundinterpretation erfolgte: Aus einer deutlich lesbaren Punze „M. Aius I Fabrici“ erfand Wiegels zusammen mit Georgia Franzius: „Besitz eines Legionärs Marcus Aius, der in der Ersten Kohorte dient, in der Ersten Hundertschaft, die von Fabricius angeführt wird“. Das ist allerdings doch eine waghalsige Übersetzung, um davon abzulenken, dass hier klar die I. Legion gemeint war, denn bei Kohorten-Bezeichnungen findet sich regelmäßig der Zusatz Coh oder Cohors; fehlende Zusätze deuten auf die Legion hin.
Da Wiegels wusste, dass auch das P als Kennung für die I. Legion steht, kam er nun nach diesem ersten wissenschaftlichen Sündenfall für mehr als zehn Jahre in die Bredouille, alle gefundenen I und P zu Ersten Kohorten machen zu müssen. Das führte zu einer kuriosen Kartierung mit dem verblüffenden Ergebnis, dass auf dem gesamten Schlachtfeld Kalkriese nur eine I. Kohorte (oder mehrere I. Kohorten) unterwegs war(en), scheinbar losgelöst von ihrer/n Legion/en, weil trotz 15jähriger Grabungen nicht eine einzige heiß ersehnte Kennung der 17., 18. und 19. Legion auftauchte.
Was das Kalkrieser Wissenschaftsmonopol und Zitierkartell zunächst zu Beginn der Grabungen als zulässiges corriger la fortune ansah, in dem sicheren Bewusstsein, damit riesige Fördermittel loszueisen und dann bald die passenden Legionen zu finden – vorsorglich wurden schon überall Straßenschilder mit der frohen Botschaft angebracht –, das wurde dem Forscher Wiegels immer unheimlicher, als nur P und I erschienen. Inzwischen hat er die wissenschaftliche Leitung abgegeben und nun schreibt er von der I. Legion in Kalkriese.
Damit ist der wissenschaftliche Disput um Varus in Kalkriese klar entschieden. Im Varus-Blatt No. 8, 12. Jahr, Dezember 2006, lässt Wiegels noch einmal die „Cohors I allein im Kampf mit den Germanen in Kalkriese“ antreten, offensichtlich als letztes Rückzugsgefecht des Osnabrücker-Land-Lobbyisten Wiegels. Vielleicht erreicht ihn ja noch ein Ruf auf einen Lehrstuhl weit weg von seiner bisherigen Wirkungsstätte.
Wie unabhängig aber ist Dr. Günther Moosbauer, der nachfolgende „Wissenschaftliche Verantwortliche“ der Varusschlacht Kalkriese, ebenfalls prominenter Vereins-Lobbyist und zugleich Nutznießer der Stiftungsdozentur des Dr. h. c. Hartwig Piepenbrock, Förderer und ehemaliger 1. Vorsitzender der Varus-Gesellschaft, Dienstleistungs-Konzernherr im Osnabrücker Land, der als Gegenleistung die Ehrendoktorwürde der Universität Osnabrück erhielt? In schönster Offenheit preist Wiegels, der 2. Vorsitzende, den 1. Vorsitzenden der Varus-Gesellschaft mit den Worten: „Dank … Ihren Verbindungen zur Osnabrücker Geschäftswelt … ist es gelungen, die Varus-Gesellschaft zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Finanzierung eines umfänglichen Wissenschaftsbetriebes (sic !) weiterzuentwickeln“. Am 8. Mai 2006 trat Piepenbrock unter Mitnahme des „verdienten“ Dr.-Titels zurück.
Vorsichtshalber schrieb Moosbauer seine Habilitation auf der Stiftungsdozentur, die ja für ihn gedacht war und die er gegen alle wissenschaftlichen Verfahrensregeln und nach vielen Querelen mit Hilfe von Herrn Wiegels ergattern konnte, nicht über Varus in Kalkriese, obwohl eigentlich dafür voll finanziert. Welche Undankbarkeit! Die wissenschaftliche Arbeit des Privatdozenten Moosbauer befasst sich lieber mit dem sicheren Gebiet der Römer im Süden statt mit dem gefährlichen Morast der Varusschlacht im Norden: Auch Moosbauer ist in der Absetzbewegung. Im niedersächsischen Landtag hielt er am 15. Mai 2006 eine Rede, um weitere Landesmittel einzuwerben, die von Unverbindlichkeiten zur Varusschlacht in Kalkriese strotzt. Auch er muss wie sein Vorläufer Wiegels den Spagat zwischen redlicher Wissenschaft und Lobbyarbeit, zwischen Karriere und Interessenpolitik meistern. Vor allen Dingen braucht er rechtzeitig zum Ablauf der 10jährigen Stiftungsdozentur eine Universitätsprofessur.
Und auch er jubelt seinen unverdrossenen Vereinsmitgliedern „im Kleingedruckten“ auf S. 28 des Varus-Blättchens die Botschaft unter, von der er überzeugt ist, dass niemand sie liest und der, der sie liest, sie nicht versteht: „Im besten Fall wird die Untersuchung des Fundmaterials zusätzliche Argumente für die chronologische Einordnung (sic !) des Fundareals in der Kalkrieser – Niederwedder Senke liefern“ – also doch nicht 9 n. Chr.?!
Man wird ja nicht undankbar sein, auch nicht gegen die Sparkassen, den Landkreis, die Stadt Osnabrück und gegen Herrn Großmann, den Inhaber der Stahlwerk-Gruppe, der die Varus-Gesellschaft in Georgsmarienhütte beherbergt.
Auch im Kalkrieser „Rost-Familiendenkmal“ findet man nur Literatur des Kalkriese-Kartells – alle kritischen Publikationen sind der wissenschaftlichen Vorzensur zum Opfer gefallen und werden im Buchladen nicht feilgehalten. Bei seinem Vortrag im Plenarsaal des Landtages pries Moosbauer die Errungenschaften der neuen Schlachtfeld-Archäologie des Dr. Achim Rost aus Belm, Ehemann der Grabungsleiterin Dr. Susanne Wilbers-Rost: Kalkriese als niedersächsischer mittelständischer förderungswürdiger Familienbetrieb – die besten Voraussetzungen für methodologisch sauberes wissenschaftliches Arbeiten.
Während die Wissenschaftler inzwischen ihre Absetzbewegungen vorbereiten, muss der inzwischen hauptamtliche Geschäftsführer des Kalkriese-Kartells das Varus-Kalkriese-Gespenst weiter aggressiv vermarkten. Da er dafür angestellt ist, muss der Jurist Dr. Joseph Rottmann, der nie historisch-wissenschaftlich gearbeitet hat, aber sich nicht entblödet, bei Kalkriese-Kritikern eben jenes in Frage zu stellen, als ehemaliger Kommunalpolitiker und im Kommunaldienst Tätiger für den Landrat des Kreises Osnabrück, Parteifreund Manfred Hugo, die Fahne der Varusschlacht im Osnabrücker Land aufrecht halten.
Dementsprechend unqualifiziert sind seine Äußerungen, die Kritiker könnten ja wohl nicht erwarten, dass Varus gnädigerweise seine Visitenkarte hinterlassen habe; tatsächlich hinterließ Germanicus seine Visitenkarte, nur das wird, so weit eben möglich, der Öffentlichkeit vorenthalten. Man sieht, dass der Nerv der Marketing-Beauftragten „2000 Jahre Varusschlacht“ empfindlich getroffen ist. Herr Rottmann jedenfalls trägt gebetsmühlenhaft vor, dass Wissenschaft da stattfindet, wo die meisten Mittel fließen! Das Jubiläum wird auf jeden Fall in Kalkriese stattfinden – koste es an weiteren öffentlichen und steuerbegünstigten Zuwendungen, was es wolle. Dem Nicht-Wissenschaftler ist es gleich, wenn dabei die Ethik der Wissenschaft auf der Strecke bleibt.
Nur wenn die Medien, die diese Situation herbeigeführt haben, das Handelsblatt seit 1990 durch Werner Kraeling und die Welt durch Felix Kellerhoff vorneweg, und die Unternehmen, die diese wissenschaftliche Geisterfahrt steuerbegünstigt finanzieren (Sparkassen, Großmann-Gruppe MBN GM-Hütte, Egerland-Logistik und die Piepenbrock-Dienstleistungsgruppe) sowie die öffentlichen Hände (Land Niedersachsen, VW-Stiftung, Landkreis Osnabrück, Stadt Osnabrück, DFG, BRD und EU) ihre Zahlungen einstellen, kann diesem Spuk ein Ende bereitet werden. Außerdem müsste die fortlaufende missbräuchliche Inanspruchnahme der Steuerzahler dadurch beendet werden, dass die Gemeinnützigkeit der Sparkassen-Stiftung, der gGmbH und des e.V. Varus-Kalkriese als erschlichen widerrufen werden. Denn nur unter dem falschen Vorwand wissenschaftlichen Arbeitens wurden diese juristischen Personen in die Register eingetragen und mit dem Status der Gemeinnützigkeit versehen. Tourismusförderung ist als Geschäftszweck nicht eingetragen, auch nicht Regionalförderung.
Da das Mundblech einer Schwertscheide aus Bronze, Fundnummer 10962, vom Oberesch Kalkriese klar lesbar und unverwechselbar die Ritzinschrift: L P = Legio Prima trägt (R. Wiegels: Für die betreffende Zeit nicht ungewöhnlich ist der Buchstabe P für „prima“ an Stelle einer Ziffer „I“ … zur Bezeichnung der I. Legion Germanica …, nicht der 1. Kohorte), ist in Kalkriese nichts mehr so, wie es für zwei Jahrzehnte war.
Die wissenschaftliche Frage: „Varus in Kalkriese?“ ist klar mit „Nein!“ beantwortet – ausgerechnet von den Wissenschaftlern des Kalkriese-Kartells selbst; wer hätte das noch erwartet. Allerdings wäre es zuviel verlangt, ein öffentliches Eingeständnis des ursprünglichen Irrtums zu erwarten. Die Korrekturen der eigenen Meinung verschwinden im Kleingedruckten und in Fachzeitschriften, die das breite Publikum nicht liest.
Aber die kommerziellen Interessen der strukturschwachen Region Bramsche und die Gehälter der Varus-Jünger Moosbauer, Wilbers & Rost sowie Rottmann müssen weiter bedient werden. Da können die Lipper noch so laut schreien: „Verrat!“
Nachdem die wissenschaftliche Geisterfahrt abrupt im Graben landete, dreht die kommerzielle Geisterbahn weiter ihre Runden: Der Spuk ist noch nicht vorbei.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Siegfried G. Schoppe
Dienstag, 6. März 2007
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2 Kommentare:
WISSENSCHAFT ALS KOMMERZIELLES GESCHÄFT UND MARKT DER EITELKEITEN.
PFUI DEIBEL....von einem der Steuern bezahlt
Vom Steuerzahler alimentierte Wirtschaftswissenschaftler urteilen jetzt über Altertumswissenschaften? Sagt jetzt ein Mathematiker wie der Philologe zu übersetzen hat, der Techniker wie der Historiker interpretieren soll? Und wo bleibt der gute wissenschaftliche Stil, mit diesem Kreuzzug ist weder dem Thema noch der Sache gedient.
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